RADIKAL LIEBEN – EIN MATERIAL von Julia Schoch
Auf das Gefühl ist wenig Verlaß.
Gefühl ist korrumpierbar, es ist fern- und fremdgesteuert heutzutage, nicht selten verkümmert.
Die Rede von der „Echtheit der Gefühle“ ist darum spekulativ.
Verläßlich ist die Echtheit des Willens. Des Gedankens. Die Absicht zur Liebe, denn:
Die Liebe ist ein Plan, ein Vorhaben, so normal wie das Vorhaben, ab der nächsten Woche häufiger ins Kino zu gehen.
Liebe hat mit Einbildung zu tun.
Verdrängung und Einbildung sind vertrauenswürdige Größen, denn sie sind verstandesgemacht.
Das kapitalistische System favorisiert den egoistischen Instinktmenschen, seine Zielscheibe ist das „Kreatürliche“ im Menschen, der „natürliche“ Trieb, wenn er Umsatz bringt.
Einer, der „natürlich“ handelt, ist durchschaubar und lenkbar.
Das Ausgedachte und mutwillig Geplante hingegen ist unberechenbar, und damit subversiv. Lohnenswert ist die künstliche/ künstlerische Verbiegung, die Veränderung der durchschaubaren Natur in uns.
Wer die Liebe an die „Natürlichkeit“ binden will, arbeitet bereits an ihrem Untergang. Denn der Zustand des ersten Begehrens wird so nie überwunden und also in den der Liebe überführt werden können.
Zwei ist die erste reine Zahl, wenn man die Welt mit den Augen eines Liebenden sieht.
„Was sich für das Individuum hält, ist bei Licht gesehen meist nur der trotzige Rest einer gescheiterten Paarstruktur.“ (P. Sloterdijk)
Grundvoraussetzung für das kapitalistische System und dessen Stütze ist der Einzelne. Einzelne sind schwach, gegeneinander aufhetzbar und ausbeutbar.
Das Leben als Einzeller macht anfällig für den Konsum. Konsumieren aber lenkt ab vom Lieben.
Es gibt die Liebe heute also nur unter der Bedingung, daß das Paar eine Verschwörungseinheit bildet. Stell dir die Liebe als ein Bollwerk-Projekt vor.
Die Liebe ist nicht kompliziert.
Frauen und Männer sind keine Rätsel oder Mysterien.
Dennoch ist Liebe keine selbstverständliche Sache, die einem bei Gelegenheit zustößt. Man trifft die Große Liebe nicht, man erschafft sie sich, wenn nötig solange, bis sie wahr ist. (Bis das verkümmerte Pflänzchen „Gefühl“ künstlich wieder hochgezüchtet worden ist.)
Achte auf die Momente und Gelegenheiten, in denen dir das System gegen seinen Willen Möglichkeiten des Liebens bietet.
Verschwende dich nicht an eine fade Liebe.
Phantasiere dich in höchste Ansprüche, trag sie vor dir her.
Inszeniere die Liebe, anstatt „echten Gefühlen“ und anderen Wahnvorstellungen zu folgen.
Suche ein Vorbild, das erfolgreich liebt. Imitiere Liebende, kopiere dich zum Meister.
Liebe so, daß deine Liebe historisch wird, liebe aus dem Gedanken des Posthumen heraus.
Riskiere, daß deine Kontur verwischt und in einem anderen aufgeht. Versuche ein Leben als Bastard-Wesen.
Vom Sprechen über sie darf die Liebe nichts wissen. 
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